Wir denken hier konkret an die sogenannte VUCA-Welt. Dieses Akronym setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe Volatility (Sprunghaftigkeit, Unbeständigkeit), Uncertainty (Ungewissheit, Unsicherheit), Complexity (Komplexität, Vielschichtigkeit) und Ambiguity (Zweideutigkeit, Mehrdeutigkeit) zusammen. Natürlich sind einige Phänomene, denen wir verstärkt begegnen, mit diesen Begriffen treffend beschrieben. Business Schulen nehmen darauf Bezug, indem sie ihre neuen Seminarangebote preisen, die Digitale Business Transformation anbieten, weil in den letzten drei Jahrzehnten zunächst die Globalisierung und jetzt die Digitalisierung als Auslöser der Verunsicherung durch die VUCA-Welt gesehen wurde. Über sogenannte »Agile Methoden« wird Mitarbeitenden, besonders im Projektmanagement in der Softwareentwicklung, mehr Eigenständigkeit gegeben und im Umkehrschluss auch mehr Eigenverantwortung abverlangt. Das ist auf jeden Fall zu begrüßen. Aber die vermeintliche Kontrolle über unsere (Business) Welt wird man damit nicht zurückerlangen.

Wir würden sogar so weit gehen und behaupten, dass die vermeintliche Kontrolle eine Illusion ist, die nie wirklich existierte. Command and Control war und ist immer noch eine beliebte Kategorie in Executive Trainings und Führungsseminaren. Dieser Begriff ist längst als Euphemismus enttarnt worden, denn wenn die Führungskraft den Mitarbeitenden Anweisungen für Tätigkeiten gibt, die sie ablehnen, werden sie durch die angekündigte Kontrolle diese nicht ausführen. In Wahrheit müsste die Kategorie Command and Manipulate heißen. Und manipuliert wird, indem man den Mitarbeitenden so viel Geld oder andere Anreize gibt, dass sie Dinge tun, die sie sonst wahrscheinlich nicht tun würden. »Unsere Führungsphilosophie basiert auf dem Paradigma von Command and Manipulate«, klingt natürlich nicht so attraktiv wie die Feststellung »Unsere Führungsphilosophie basiert auf dem Paradigma von Command and Control«.

Mit den Antreibern des Business-Enneagramms bieten wir Kategorien an, die von innen kommende, intrinsische Motivation ermöglichen.

Überall, wo Menschen zusammenarbeiten, treffen sich sehr viele, sehr unterschiedliche Individuen. Das ist die erste Voraussetzung für Komplexität. Probleme ergeben sich, wenn diese Unterschiede zu negativen Meinungen, Haltungen und Einstellungen gegenüber dem Andersartigen und in letzter Konsequenz zu einer Abwertung führen. Man be- oder verurteilt andere und schafft dadurch Trennung.

In unserer Definition von Komplexität entsteht diese, wenn getrennte und unterschiedliche Energien zusammenkommen, um als Einheit zu funktionieren, ohne dass sie ihr Getrenntsein oder ihre Vielfalt aufgeben oder verlieren. Die Antwort auf die Herausforderungen der Zeit ist also nicht der Versuch, Teamarbeit herzustellen, indem man alles vereinheitlicht, sondern Komplexität anstrebt. Evolution ist immer die Folge eines Strebens nach mehr Komplexität, nicht nach Vereinfachung.

Wenn wir die Komplexität in der Zusammenarbeit erhöhen, vergrößert sich auch zwangsläufig die Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Die Lösung wäre also, eine Kompetenz zu entwickeln, die nicht die Wiederherstellung der vermeintlichen Sicherheit anstrebt, sondern mit Entdeckergeist die Ungewissheit aushalten kann und sich somit für überraschende neue Lösungen öffnet. Die Lösungen der Vergangenheit sind für heute nicht mehr angemessen. Im Gegenteil: Sie sind die Ursache vieler heutiger Probleme. Prof. Dr. Rainer Zech, Vordenker für eine neue Ethik in unsicheren Zeiten, Gründer und Geschäftsführer des ArtSet Instituts, einem innovativen wissenschaftlichen Forschungsunternehmen, fordert, eine neue Kompetenz zu entwickeln, die er Selbstüberraschungsfähigkeit nennt (siehe Zech, R.: Expect the Unexpected – Umrisse einer Ethik für unsichere Zeiten, Wiesbaden 2020, S. 423): »Etwas wahrzunehmen, was wir nicht kennen, ist kein leichtes Unterfangen, weil alle aktuelle Wahrnehmung beeinflusst ist von unseren vergangenen Erfahrungen. Wir sehen in erster Linie das, was wir schon kennen und interpretieren unsere Beobachtungen auf der Folie der bisherigen Interpretationen. Was die Selbstüberraschungsfähigkeit auszeichnet, sind also Erwartungsmuster, die offen sind für Neues, Überraschendes.«

Um das zu erreichen wäre es sinnvoll, sich von einer fixen Identitätsvorstellung, bezogen auf das eigene Ich, zu verabschieden. Stattdessen wäre es hilfreich, die eigene Identität als etwas zu sehen, was lebenslang im Werden begriffen ist. Provozierend gefragt: »Warst Du vor 10 oder gar 20 Jahren genau der gleiche Mensch wie heute?« Der Harvard Psychologe Dan Gilbert formuliert es in einem TED-Talk mit dem Titel »The psychology of your future self« so: »Ich möchte Sie heute davon überzeugen, dass wir alle mit dem Wahn herumlaufen, dass unsere persönliche Geschichte vollendet ist; dass wir erst vor kurzem die Menschen geworden sind, die wir immer werden sollten, und die wir immer bleiben werden. … In jeder Altersklasse unterschätzen die Menschen, wie sehr sich ihre Persönlichkeit im kommenden Jahrzehnt verändern wird.« (https://www.ted.com/talks/dan_gilbert_the_psychology_of_your_future_self/transcript)